Genese und Struktur eine technikwissenschaftlichen Feldes : über den Kampf der Aachener Eisenhüttenkunde um Macht und Autonomie 1870-1914

S. Krebs

    Research output: ThesisPhd Thesis 4 Research NOT TU/e / Graduation NOT TU/e)

    Abstract

    Die sich historisch herausgebildete disziplinäre Gliederung der Wissenschaften vermag Auskunft zu geben über die Formung, Stabilisierung und Durchsetzung wissenschaftlicher Erkenntnissysteme. Als methodischer Zugriff zur Erklärung der Genese technikwissenschaftlicher Disziplinen besitzt das Dresdener Konzept weiterhin seine Gültigkeit, bedarf aber der Ergänzung um weitergehende methodisch-theoretische Überlegungen. Als Erweiterung kann Mitchell G. Ashs Konzeptionalisierung wissenschaftlicher Disziplinen als Ressourcenensembles einen Zugang zu der Frage eröffnen, wie es einzelnen Akteuren gelingt, entscheidenden Einfluss auf Veränderungen der Gegenstandsorientierung, der Institutionalisierung und der Selbstreproduktion einer Disziplin zu gewinnen. Durch die Akkumulation von materiellen und immateriellen Ressourcen gelingt es ihnen, eigene organisatorische Vorstellungen und wissenschaftliche Programme durchzusetzen. Zur Operationalisierung bietet sich Pierre Bourdieus Kapitaltheorie an: Die Akteure, die miteinander um die Veränderung oder den Erhalt der Struktur eines wissenschaftlichen Feldes kämpfen, können aufgrund ihrer Kapitalausstattung, ihrer jeweiligen Position sowie ihrer habituellen Dispositionen verschiedene Strategien zur Durchsetzung ihrer Positionierungen einschlagen. Ihr Ziel ist es, selber beherrschende Positionen innerhalb des Feldes zu erlangen bzw. zu behalten. Insgesamt wohnt dem wissenschaftlichen Feld dabei die Tendenz inne, größtmögliche Autonomie zu erlangen und damit dem nomos des eigenen Feldes weitestgehend Gültigkeit zu verschaffen – womit sich wiederum die Wertigkeit, Konvertibilität und Verteilung der verschiedenen Kapitalsorten ändern bzw. gewahrt bleiben. Schlüsselbegriffe für die Analyse sind demnach der Kampf um Macht, um Ressourcen und Deutungsmonopole sowie um den Grad an Autonomie. Die Untersuchung der Disziplingenese der Eisenhüttenkunde am Beispiel der Technischen Hochschule Aachen hat gezeigt, dass diese sich geradezu paradigmatisch dem Dresdener Periodisierungsmodell entsprechend entwickelt hat: Auf allen drei Analyseebenen – Gegenstandsorientierung, Institutionalisierung und Selbstreproduktion – haben zwischen 1870 und 1914 qualitative Entwicklungen stattgefunden, wie sie innerhalb des Dresdener Konzepts beschrieben werden. Unter der vorgeschlagenen Betrachtungsweise können die vom Dresdener Konzept beschriebenen Konsolidierungsschritte als notwendige Bedingungen der Verwissenschaftlichung der Eisenhüttenkunde aufgefasst werden; während die Autonomisierung als hinreichende Bedingung ihrer Verwissenschaftlichung begriffen werden muss. Das würde bedeuten, dass die Verwissenschaftlichung der Eisenhüttenkunde nur unter Durchsetzung ihres Deutungsmonopols erfolgen konnte. Mit der Konsolidierung der Eisenhüttenkunde und der Etablierung ihres wissenschaftlichen Deutungsmonopols war zugleich die Ausbildung der chiastischen Struktur des eisenhüttenkundlichen Feldes verbunden. Das heißt, dass erst mit der disziplinären Theoriebildung und dem Aufkommen der Grundlagenforschung wissenschaftliche Tätigkeit um ihrer selbst willen erfolgen konnte. Der neue nomos bildete also die zu seiner Permanenz erforderliche illusio aus. Autonome Felder versteht Bourdieu als strukturierte Räume dauerhafter Beziehungen zwischen Produzenten untereinander und zwischen Produzenten und Abnehmern. Die Autonomie muss allerdings keine absolute sein und kann dies im Fall der Technikwissenschaften auch nicht sein, stattdessen ist von einer relativen Autonomie der technikwissenschaftlichen Felder auszugehen, die unmittelbare ökonomische Zwänge aufhebt und eine unabhängige wissenschaftliche Tätigkeit garantiert, aber die mittelbare Abhängigkeit der Technikwissenschaften von der technischen Praxis niemals ganz überwindet. Der Autonomisierungsprozess ist zudem nicht irreversibel, sondern die beiden Pole des wissenschaftlichen Feldes können im Laufe der Zeit unterschiedlich stark ausgebildet sein. Von der Ausprägung des autonomen Pols hängt aber die Brechungsstärke wissenschaftlicher Disziplinen ab. Das heißt ohne ein ausreichendes Maß Autonomie nehmen externe Einflüsse anderer Felder zu, worunter zugleich der nomos der Wissenschaft leidet. Abschließend lässt sich die Konsolidierung der Eisenhüttenkunde als symbolischer Kampf zwischen dem Aachener Professor für Eisenhüttenkunde, Fritz Wüst, und dem Verein deutscher Eisenhüttenleute begreifen, der zur Konstruktion eines Systems der Unterschiede führte, in dem die Wissenschaftler es akzeptierten, Wissenschaftler und nicht Unternehmer zu sein, und die Unternehmer es akzeptierten, Unternehmer zu werden und darauf verzichteten, Wissenschaftler zu sein.
    Original languageEnglish
    QualificationDoctor of Philosophy
    Awarding Institution
    • RWTH Aachen University
    Supervisors/Advisors
    • Kaiser, W., Promotor, External person
    • Heinen, A., Promotor
    Award date15 Feb 2008
    Place of PublicationAachen
    Publisher
    Publication statusPublished - 2008

    Fingerprint

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